Titel: Trauma, Komplexe PTBS & Dissoziative Identitätsstörung – Mein Leben mit einem unsichtbaren Sturm
Über mich – Tanja und meine Gedanken-WG
Ich heiße Tanja, bin 1979 geboren, Mutter von drei Kindern (im Schul- und Jugendalter) und lebe in Deutschland. Mein Weg ist geprägt von langanhaltenden und schweren traumatischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend – Situationen, in denen ich über Jahre hinweg hilflos, bedroht und ohne echten Schutz war.
Die Folgen dieser Erfahrungen sind heute u. a.:
- eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (KPTBS)
- eine Dissoziative Identitätsstörung (DIS/DID)
Das bedeutet, dass mein Inneres aus verschiedenen „Anteilen“ besteht, die eigene Gefühle, Erinnerungen, Aufgaben und manchmal sogar ein eigenes Alter haben. Ich nenne das liebevoll und ein bisschen sarkastisch meine „Gedanken-WG“: viele innere Mitbewohner, die alle auf ihre Art versucht haben, mir das Überleben zu sichern.
Ein paar Dinge über mich als Mensch:
- Ich kämpfe seit vielen Jahren aktiv um Stabilität und Gesundheit.
- Ich bin in ambulanter Therapie und nutze spezialisierte Traumatherapie, so weit das Versorgungssystem es zulässt.
- Ich bin gleichzeitig Mutter, Partnerin und Betroffene – und versuche, diese Rollen miteinander zu vereinbaren.
- Kreative Projekte (Tagebuch, Zeichnungen, Tabellen über innere Anteile, kleine Karten & Adventskalender für wichtige Menschen) helfen mir, Struktur und Sinn zu finden.
Mit dieser Website möchte ich:
- Wissen über Trauma, KPTBS und DIS verbreiten,
- Vorurteile abbauen (z. B. „DID ist nur aus Filmen“),
- und anderen zeigen: Man ist mit diesen Diagnosen nicht „verrückt“ oder „hoffnungslos“, sondern ein Mensch mit einer sehr komplexen Überlebensgeschichte.
Trauma – was bedeutet das eigentlich?
Ein psychisches Trauma entsteht, wenn ein Mensch Ereignisse erlebt, die so überwältigend sind, dass das eigene Erleben von Sicherheit, Kontrolle und Sinn zusammenbricht. Dazu gehören z. B.:
- körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt,
- schwere Vernachlässigung,
- andauernde Bedrohung, Krieg, Folter oder organisierte Gewalt,
- schwere Unfälle, Naturkatastrophen oder plötzliche Verlusterlebnisse.
Wichtige Punkte:
- Nicht jedes schlimme Erlebnis führt automatisch zu einer Traumafolgestörung.
- Entscheidend ist, wie bedrohlich, hilflos und alleingelassen sich jemand erlebt und ob Schutz und Unterstützung verfügbar waren. UK Trauma Council
- Wiederholte Traumata über lange Zeit erhöhen das Risiko für komplexe Traumafolgestörungen wie KPTBS. BioMed Central
Traumafolgestörungen können sich z. B. zeigen in:
- aufdrängenden Erinnerungen, Flashbacks, Albträumen,
- Vermeidung von Erinnerungen, Orten oder Menschen,
- starker innerer Anspannung und ständiger Alarmbereitschaft,
- Gefühlen von Entfremdung, Scham, Schuld und innerer Leere,
- Problemen in Beziehungen und im Umgang mit Nähe und Distanz. ptsd.va.gov
Komplexe PTBS (KPTBS) – mehr als „nur“ Trauma
Die Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (KPTBS) ist in der ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eigenständige Diagnose beschrieben. Sie umfasst die Kernsymptome einer PTBS plus zusätzliche Probleme in der Selbstorganisation. icd.who.int
In der ICD-11 setzt sich KPTBS aus sechs Symptomgruppen zusammen: PubMed
PTBS-Kernsymptome:
- Wiedererleben („Flashbacks“, Albträume, Sich-fühlen-als-wäre-es-jetzt),
- Vermeidung von Erinnerungen, Gefühlen oder Auslösern,
- anhaltendes Gefühl von Bedrohung / starke Schreckhaftigkeit.
Zusätzliche Bereiche („Störungen der Selbstorganisation“):
- Affektregulation: sehr starke, schwer steuerbare Gefühle (z. B. Wut, Verzweiflung, Leere) oder kaum Zugang zu Gefühlen,
- Negatives Selbstbild: tiefsitzende Scham, Schuld, das Gefühl „defekt“, „wertlos“ oder „grundsätzlich falsch“ zu sein,
- Beziehungsprobleme: große Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen, Nähe auszuhalten oder Grenzen zu setzen.
Aktuelle Fachliteratur und Leitlinien bestätigen, dass KPTBS besonders häufig bei langanhaltender, wiederholter und zwischenmenschlicher Gewalt entsteht, etwa in der Kindheit, in Partnerschaften oder in Kontexten organisierter Gewalt. UK Trauma Council
Die ISTSS (International Society for Traumatic Stress Studies) hat spezielle Positionspapiere und Empfehlungen zu KPTBS entwickelt, um Diagnose und Behandlung zu verbessern. Arizona Trauma Institute
Für mich persönlich bedeutet KPTBS u. a.:
- an manchen Tagen extreme innere Anspannung, Schlafstörungen und Flashbacks,
- starke emotionale Schwankungen,
- ein sehr verletztes Selbstbild und gleichzeitig einen großen Willen, zu kämpfen,
- Schwierigkeiten, Beziehungen zu halten – und trotzdem große Sehnsucht nach sicheren Bindungen.
Dissoziative Identitätsstörung – viele Anteile, ein Leben
Die Dissoziative Identitätsstörung (DIS/DID) ist eine Diagnose aus dem Bereich der dissoziativen Störungen.
In der ICD-11 ist sie gekennzeichnet durch: mrcpsych.uk
- eine Störung der Identität,
- bei der zwei oder mehr deutlich unterscheidbare Persönlichkeitszustände (Identitäten/Anteile) vorhanden sind,
- die das Erleben, Denken, Fühlen und Verhalten in unterschiedlichen Momenten bestimmen können,
- oft begleitet von Erinnerungslücken, die sich nicht allein durch normale Vergesslichkeit erklären lassen.
In aktuellen medizinischen Übersichtsarbeiten (z. B. StatPearls/NCBI) wird beschrieben, dass: NCBI
- DID weltweit bei etwa 1–1,5 % der Bevölkerung vorkommt (Schätzungen),
- sie stark mit schweren und langanhaltenden Kindheitstraumata zusammenhängt,
- viele Betroffene mehrfach in Krisensituationen, Notaufnahmen oder in Behandlung erscheinen, oft mit Selbstverletzung, Suizidalität, anderen psychischen Diagnosen oder Suchtproblemen, bevor die DIS erkannt wird.
Die ISSTD (International Society for the Study of Trauma and Dissociation) hat ausführliche Behandlungsleitlinien für DID veröffentlicht. Sie empfehlen in der Regel eine phasenorientierte Psychotherapie: TandF Online
- Stabilisierung & Alltagssicherheit,
- Traumabearbeitung,
- Integration & Reorganisation des Lebens.
Meine Innenwelt – die „Gedanken-WG“
In meinem Inneren gibt es verschiedene Anteile, die:
- unterschiedliches Alter haben,
- unterschiedliche Aufgaben (Schutz, Alltag funktionieren, Gefühle tragen, Erinnerungen halten),
- unterschiedlich auf Belastung und Beziehungen reagieren.
Ich stelle mir das oft wie ein Haus mit vielen Zimmern vor – jeder Anteil hat seine „Tür“, seinen Stil, seine Geschichte. Es gibt:
- sehr verletzte, kindliche Anteile,
- innere Beschützer*innen,
- Anteile, die den Alltag managen,
- Anteile, die Wut, Trauer oder Angst tragen.
Diese Art der Aufteilung ist kein „Spiel“ und nichts „Ausgedachtes“, sondern eine hochkomplexe Überlebensstrategie auf extreme Belastungen in der Kindheit.
Alltag mit KPTBS und DIS – zwischen Familie, Innenwelt und Systemgrenzen
Mit KPTBS und DIS zu leben bedeutet für mich:
- Mutter sein und gleichzeitig mit einer sehr instabilen inneren Welt zurechtzukommen,
- Verantwortung für drei Kinder, meinen Mann und zugleich für viele innere Anteile zu tragen,
- immer wieder Klinikaufenthalte, Gutachten, Anträge und Kämpfe mit dem System.
Typische Herausforderungen im Alltag:
- Wechsel zwischen Anteilen: Manchmal merken andere es kaum, manchmal ist es deutlich spürbar (Sprache, Mimik, Emotionen).
- Gedächtnislücken: Es gibt Situationen, an die ich mich kaum oder gar nicht erinnern kann.
- Überforderung & Reizüberflutung: Einkaufen, Lärm, Behörden, Anträge, Arzttermine – all das kann sehr schnell zu viel werden.
- Scham & Stigma: Viele Menschen kennen KPTBS und DIS nur aus Filmen, in denen sie oft völlig falsch dargestellt werden.
Was mir wichtig ist:
- Ich bin nicht „gefährlich“. Menschen mit KPTBS und DIS sind im Schnitt eher Gefährdete als Gefährdende.
- Ich arbeite aktiv daran, gesünder zu werden: Therapie, Selbsthilfe, Aufklärung, Struktur, kreative Projekte.
- Sicherheit für meine Kinder hat oberste Priorität – auch deshalb suche ich Unterstützung und Therapie.
7. Behandlung & Hilfe finden (wissenschaftlich & praxisnah) Titel: Behandlung bei KPTBS und DIS – was Leitlinien empfehlen Text: Für traumabezogene Störungen wie PTBS und KPTBS empfehlen internationale Leitlinien (z. B. ISTSS) vor allem traumafokussierte Psychotherapien, etwa:istss.org+1 traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TF-CBT), EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), Narrative Expositionstherapie, weitere evidenzbasierte Verfahren je nach Kontext. Für KPTBS betonen Fachgesellschaften, dass oft eine verlängerte Behandlungsdauer und eine Kombination aus Stabilisierung, Skills-Training und Traumabearbeitung notwendig ist.terrorvictimresponse.ca+1 Für DIS/DID empfehlen die ISSTD-Leitlinien:TandF Online+1 eine phasengeleitete, meist langjährige Psychotherapie, zuerst Fokus auf Stabilität, Sicherheit, Alltag, erst dann vorsichtige Traumabearbeitung, Ziel ist nicht zwingend „eine Persönlichkeit“, sondern bessere Kooperation der Anteile und ein funktionaleres Leben (Integration kann, aber muss nicht Verschmelzung bedeuten). In der Praxis (besonders in Deutschland) gibt es große Hürden: zu wenig spezialisierte Traumatherapeut*innen, Wartezeiten, Gutachten, Kostenfragen, häufig wenig Wissen über DIS in Allgemeinpsychiatrie und Versorgung. Trotzdem zeigen Studien: Mit spezialisierter, kontinuierlicher Unterstützung können sich Symptome bei KPTBS und DIS deutlich bessern, Selbstverletzung und Krisen nehmen ab und Lebensqualität kann steigen.NCBI+1
FAQ – Häufige Fragen zu Trauma, KPTBS und DIS
Frage 1: Ist KPTBS das gleiche wie „normale“ PTBS?
Antwort:
Nein. In der ICD-11 ist KPTBS eine eigene Diagnose. Sie enthält alle Kernsymptome der PTBS (Wiedererleben, Vermeidung, anhaltende Bedrohung) plus zusätzliche Probleme in der Emotionsregulation, im Selbstbild und in Beziehungen. Cambridge University Press & Assessment
Frage 2: Haben alle Menschen mit KPTBS automatisch eine DIS?
Antwort:
Nein. Viele Menschen mit KPTBS haben keine DIS. Allerdings können dissoziative Symptome (z. B. Depersonalisation, Derealisation, Erinnerungslücken) bei KPTBS häufig vorkommen – aber nicht alle erfüllen die Kriterien einer dissoziativen Identitätsstörung. PubMed
Frage 3: Ist DIS/DID „nur Einbildung“ oder durch Filme ausgelöst?
Antwort:
Nein. DIS/DID ist eine anerkannte Diagnose in ICD-11 und DSM-5 und wird in Fachliteratur als schwere, traumaassoziierte Störung beschrieben. Sie ist kontrovers und wird in manchen Kreisen diskutiert, aber zahlreiche Studien und Behandlungsleitlinien (z. B. ISSTD, StatPearls/NCBI) gehen von einem engen Zusammenhang mit schweren Kindheitstraumata aus. NCBI
Frage 4: Sind Menschen mit DIS gefährlich?
Antwort:
In der Forschung findet sich deutlich öfter, dass Menschen mit DIS Opfer von Gewalt waren/werden, nicht Täter. Sie sind häufig stark suizidal oder selbst schädigend, aber nicht häufiger gewalttätig als andere schwer psychisch erkrankte Menschen. Die Darstellung in Filmen ist meist verzerrt und stigmatisierend.
Frage 5: Kann man mit KPTBS und DIS ein „gutes“ Leben führen?
Antwort:
Ja, aber es ist oft ein langer, anstrengender Weg. Mit:
- stabilen Beziehungen,
- kontinuierlicher, spezialisierter Therapie,
- sozialer und finanzieller Unterstützung,
- und einer Umgebung, die Sicherheit statt erneuter Traumatisierung bietet
können Symptome abnehmen, Funktionsniveau steigen und Lebensqualität zunehmen. Es bleibt meistens eine Verletzlichkeit, aber es kann mehr Raum für Leben, Beziehungen und eigene Ziele entstehen.